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Das hartnäckige Gender Equality Paradox

Im Jahr 2010 sendete das norwegische Fernsehen eine kleine Doku-Reihe namens „Hjernevask“ (Hirnwäsche), in der der Komiker und Soziologe Harald Eia darauf hinwies, dass gerade Leute in den Gender-Wissenschaften ständig wissenschaftliche Erkenntnisse ignorieren, die darauf hinweisen, dass geschlechtertypisches Verhalten nicht allein durch Erziehung oder Umfeld bestimmt wird, sondern auch eine angeborene Komponente haben könnte. Hierbei wurde unter anderem darauf hingewiesen, dass in Norwegen etwa der Frauenanteil in Pflegeberufen gestiegen ist, obwohl das Land sich Geschlechtergleichheit auf die Fahnen geschrieben hat und man daher erwarten müsste, dass sich allmählich auch immer mehr Männer für derartige Berufe interessieren. Auf der anderen Seite ist der Männeranteil in technischen Berufen eher noch gestiegen. Das heißt also: Geschlechtsunterschiede wurden größer, je egalitärer das Land wurde. Dieses Phänomen bezeichnet man auch mit dem englischen Begriff „Gender Equality Paradox“.

Die Veröffentlichung dieser Doku wurde von den Genderwissenschaften sehr würdevoll registriert. Man gab sich betont selbstkritisch und versprach, von nun ideologische Überzeugungen zugunsten wissenschaftlicher Erkenntnis hintenan zu stellen.

HA! Verarscht, die waren bockig und haben ein riesiges Geheule angestimmt, wie so ein Fünfjähriger, der nicht begreifen will, dass Gummibärchen mit Schokolade kein vollwertiges Mittagessen sind. Sie haben versucht, Eia zu diskreditieren, und bis heute wird gerne (ohne stichhaltigen Beleg) behauptet, dass die Sachen in der Doku ja längst widerlegt wären und ja doch alle Menschen als unbeschriebenes Blatt zur Welt kommen würden.

Das ist natürlich Bullshit, wie fast alles, was aus den Gender Studies kommt. Alle paar Monate kommen immer neue Studien heraus, die in den verschiedensten Bereichen das Gender Equality Paradox dokumentieren. Und ich dachte mir: Klopfer, einige davon kannst du ja mal zusammentragen.

Eigentlich sollte ich das nicht sagen müssen, aber ich mach es doch lieber: Hier geht es um statistische Aussagen. Wenn es heißt, dass Männer eher zu X tendieren und Frauen eher zu Y, heißt das nicht, dass es gar keine Frauen gäbe, die zu X tendieren, oder gar keine Männer, die eher zu Y tendieren. Man sollte das eher so verstehen, dass wenn man jeweils 10.000 Männer und 10.000 Frauen zufällig aussucht und deren Tendenzen feststellt, man am Ende wesentlich mehr Männer als Frauen hat, die X auswählen, und wesentlich mehr Frauen als Männer hat, die Y auswählen. So sollte man also diese Studien verstehen und nicht glauben, man könne sie widerlegen, indem man sich einen Einzelfall als Gegenbeispiel heraussucht.

Ebenso sollte man sich hüten, geschlechtstypisches Verhalten NUR durch das Umfeld oder NUR durch angeborene Faktoren erklären zu wollen. Es gibt meines Wissens keinen etablierten Wissenschaftler, der behauptet, dass angeborene Faktoren die alleinige Erklärung für geschlechtstypisches Verhalten wären; so ziemlich alle, die der Natur einen großen Anteil zuschreiben, sind sich einig, dass das Umfeld eine große Rolle spielt und eine gewisse Wechselwirkung besteht. Allerdings gibt es auf der anderen Seite allerlei Gender-Wissenschaftler und Soziologen, die fest der Überzeugung sind, es gäbe keine angeborenen Faktoren. Das hat auch was damit zu tun, dass das Standard Social Science Model, das diese Ansicht vertritt, von vielen Soziologen immer noch als bestimmende wissenschaftliche Theorie zur Erklärung der menschlichen Psychologie herhalten muss.

Genug der Vorrede, fangen wir an! :herdamit:

Berufe und Interessen

Das ist einer der bekanntesten und robustesten Geschlechtsunterschiede: Frauen sind eher an Menschen interessiert, Männer eher an Technik. Das merkt man schon bei Kleinkindern, die je nach Geschlecht eher nach Puppen oder eher nach Spielzeugautos greifen. (Ich kann mich erinnern, von einer Studie gelesen zu haben, bei der es nur Puppen gab, und die Jungs haben die Puppen dann wie Pistolen benutzt.) Interessanterweise bevorzugen Mädchen, die schon im Mutterleib eine erhöhte Portion männlicher Sexualhormone erfahren, eher Jungenspielzeug. Der Interessenunterschied zwischen Männchen und Weibchen beschränkt sich übrigens nicht nur auf den Menschen: Auch bei Affen konnte man geschlechtstypische Unterschiede feststellen, wenn man ihnen Spielzeug zur Auswahl gab. Ebenso interessieren sich weibliche Affen deutlich mehr für Baby-Äffchen als die männlichen Affen.

Jetzt aber zum eigentlichen Thema: Bei einer Untersuchung von PISA-Daten mit über 470.000 Befragten aus 80 Ländern zeigte sich, dass die Unterschiede in den angestrebten Berufen nicht nur den besagten Unterschied in den Interessen zeigten (also Mädchen wesentlich häufiger mit Menschen arbeiten wollen, etwa in Pflegeberufen; Jungs hingegen eher als Mechaniker oder Mathematiker), sondern dass der Unterschied zwischen den Geschlechtern sogar größer in den Ländern mit höherer Geschlechtergleichheit ist.

Eine Untersuchung von über 40.000-Facebook-Profilen zeigte ebenfalls, dass die Interessen, bei denen man üblicherweise einen Geschlechtsunterschied erwartet, tatsächlich je nach Geschlecht unterschiedlich häufig angegeben wurden – und auch hier war der Abstand größer in den Ländern, die allgemein als gleichberechtigter angesehen werden.

Jetzt haben wir uns angeschaut, was Männlein und Weiblein wollen. Wie sieht’s mit dem Können aus? Allgemein sind Mädchen in der Schule besser, was Sprachliches angeht (etwa Lesen), während Jungs einen Vorsprung in Mathematik und naturwissenschaftlichen Fächern haben. Eine noch sehr frische Veröffentlichung, bei der Testergebnisse von fast drei Millionen Schüler aus 90 Ländern ausgewertet wurden, zeigt auch hier größere Unterschiede zwischen den Geschlechtern in gleichberechtigten Ländern.

Gefühle und Einstellungen

Dass es Unterschiede zwischen den Geschlechtern im emotionalen Empfinden gibt, ist nicht überraschend. Immerhin ist das ein immer wieder gern hervorgeholtes Thema, auch bei Standup-Comedians, die damit ganze Programme füllen.

Länderübergreifend sagen Frauen eher als Männer, dass sie sehr zufrieden mit ihrem Leben sind. (Gleichzeitig sind Depressionen bei Frauen wesentlich häufiger als bei Männern.) Und auch hier zeigt sich wieder: In den als besonders gleichberechtigt angesehenen skandinavischen Ländern wächst der Geschlechterunterschied, was die angegebene Lebenszufriedenheit angeht. (Die Depressionslücke scheint sich aber nicht wesentlich zu verändern.)

Seltsamerweise sind fünfzehnjährige Mädchen weniger zufrieden als ihre männlichen Altersgenossen, sie zweifeln häufiger an sich und sind weniger wetteifernd. Das ist auch wieder etwas, was in gleichberechtigten Ländern ausgeprägter ist.

Neben dem Unterschied bei den Interessen ist der zweite große Geschlechtsunterschied, der kulturübergreifend immer wieder und wieder bestätigt wird, derjenige, dass Männer mehr an Sex interessiert und offener für unverbindlichen Geschlechtsverkehr sind. In gleichberechtigten Ländern steigt bei beiden Geschlechtern die Offenheit für spontanen Rumpelpumpel außerhalb einer Beziehung – doch weil der Anstieg bei Männern größer ist als bei Frauen, wächst im Endeffekt der Abstand zwischen den Geschlechtern, was diesen Aspekt angeht.

Ein ähnliches Muster (allerdings mit vertauschten Geschlechtern) zeigt sich, wenn’s ums Heulen geht: In moderneren, wohlhabenden Ländern weinen Männer und Frauen mehr als in weniger entwickelten Ländern (wobei überall Frauen häufiger weinen als Männer), aber weil der Anstieg in der Flennfrequenz bei den Frauen deutlich größer ist, wächst in egalitären Ländern der Geschlechterunterschied.

Dass Männchen üblicherweise körperlich aggressiver sind als Weibchen, ist zumindest bei Säugetieren komplett normal, und da ist auch der Mensch keine Ausnahme. (Dieser Artikel über Schimpansen zitiert in der Einleitung allerlei Studien über Aggression beim Menschen: Sex differences in early experience and the development of aggression in wild chimpanzees) Eine 2018 veröffentlichte Studie untersuchte fast eine Viertelmillion Heranwachsende aus 63 Ländern. Und wieder zeigte sich das Gender Equality Paradox: In Ländern mit mehr Gleichberechtigung der Geschlechter war der Unterschied in körperlicher Aggression zwischen Jungs und Mädchen größer.

Ein Geschlechtsunterschied zeigt sich auch beim Selbstbewusstsein: Männer sind im Durchschnitt selbstbewusster als Frauen. Und trotz (oder wegen) des Feminismus muss man feststellen, dass in den westlichen Industrieländern der Abstand zwischen Männern und Frauen größer wird, anstatt zu schrumpfen. Das spielt vermutlich auch eine Rolle dabei, wieso auch der Geschlechtsunterschied in der Motivation, sich beruflich selbständig zu machen, in gleichberechtigten Ländern wächst.

Umgekehrt sind Frauen in vielen Kulturen religiöser als Männer. Diesen Vorsprung (wenn man ihn so nennen will) bauen die Damen in egalitären Ländern aus, denn dort werden Männer deutlich weniger religiös. Auch in der Bereitschaft, moralische Urteile über andere zu fällen, zeigt sich ein Ungleichgewicht zugunsten der Frauen, welches stärker in gleichberechtigten Staaten ist. (Böse ausgedrückt: Gleichberechtigung macht Frauen zu Spaßbremsen. :soistdas: )

Pikant wird das Gender Equality Paradox, wenn man sich die Einstellungen und Strategien bei der Partnersuche anschaut.

Dass Männer eher auf körperliche Attraktivität achten (während Frauen eher auf Status und Ressourcen gucken), ist eine Binsenweisheit. (Wer trotzdem einen wissenschaftlichen Artikel will: Intersexual and Intrasexual Differences in Mate Selection Preferences Among Lesbian Women, Gay Men, and Bisexual Women and Men) Erstaunen könnte aber die Erkenntnis, dass gerade in gleichberechtigten Ländern Männer umso mehr Wert auf gutes Aussehen beim Ziel ihrer Lüste legen. Nimm das, Claudia Roth.

Bei der Partnersuche ist es ja so, dass man sich im besten Licht darstellt – wobei das beste Licht natürlich auch davon abhängig ist, was für den potenziellen Partner attraktiv ist. Nicht selten nimmt man es da mit der Ehrlichkeit auch nicht ganz so genau und flunkert ein bisschen über die Eigenschaften, die man für besonders anziehend hält. Dass man sich gerade in den sozialen Medien und auf Dating-Plattformen körperlich attraktiver darstellt, ist bei Männern und Frauen nicht selten, in gleichberechtigten Ländern machen Männer das aber seltener (Frauen auch ein bisschen, aber der Rückgang ist nicht so groß wie bei Männern). Bei persönlichen Erfolgen prahlen Männer in allen Ländern etwa gleich, aber in gleichberechtigten Staaten halten sich Frauen dort mehr zurück als in Ländern, in denen es mit der Emanzipation noch nicht so weit her ist. Im Endeffekt erhöhen sich also die Geschlechtsunterschiede in gleichberechtigten Ländern.

Warum eigentlich?

Es gibt noch körperliche Unterschiede, die in gleichberechtigten Ländern größer werden, etwa Körperhöhe (beide Geschlechter werden in solchen Ländern größer, aber Männer mehr), Fettleibigkeit (beide Geschlechter werden in solchen Ländern breiter, aber Männer mehr) oder Blutdruck (der von Männern steigt, der von Frauen nicht), aber die finde ich weniger spannend, deswegen habe ich die hier eher stiefmütterlich behandelt.

Natürlich drängt sich die Frage auf: Wie kommt es, dass die Lücke bei den Interessen und Einstellungen größer wird, je gleichberechtigter die Geschlechter sind? Ich versuche mal, meine Theorie zu erklären: Ich muss dabei an einen Schwamm denken. Wenn man ihn in ein enges Gefäß steckt, wird er die Form des Gefäßes annehmen. Nimmt man ihn raus, wird er zur seiner natürlichen Form zurückkehren.

In vielen patriarchalischen Ländern ist es zum Beispiel ein Anreiz für Frauen, einen technischen Beruf zu wählen oder sich selbständig zu machen, weil das ihnen Freiheiten ermöglicht, die sie sonst nicht hätten. Als Ingenieurin oder Unternehmerin kann man in diesen Ländern eher ein selbstbestimmtes Leben führen, ohne von einem Mann und seinem Einkommen abhängig zu sein. Das heißt jetzt nicht unbedingt, dass die Frauen sich quälen in einem Beruf, den sie eigentlich gar nicht haben wollen, vielmehr begünstigt das Umfeld einige Faktoren und unterdrückt andere, die sich bei mehr Freiheit stärker ausprägen würden.

Bei uns ist dieser Druck nicht so sehr vorhanden. Es ist zum Beispiel problemlos möglich, in Deutschland auch mit einem Pflegeberuf ein selbstbestimmtes Leben ohne Mann zu führen. Und schon gewinnt die intrinsische Motivation, die eine Frau dazu bringt, einen Beruf zu wählen, bei dem man eher mit Menschen arbeitet als mit Technik, obwohl sie auch im technischen Bereich erfolgreich sein könnte. Kurz: Die Geschlechtsunterschiede sind ein Luxus, den man sich in gleichberechtigten Gesellschaften leisten kann. (Andere konzentrieren sich sehr auf die Rolle der Partnerwahl und der Konkurrenz um Partner, aber das kommt aufs Selbe hinaus.)

Das Fazit: Männer und Frauen sind nicht gleich. Und deswegen ist es auch in Ordnung, wenn nicht überall Männer und Frauen je zu gleichen Anteilen vertreten sind. Das ist kein Zeichen der Unterdrückung durch das böse Patriarchat, sondern ganz im Gegenteil ein Zeichen für Freiheit und Gleichberechtigung. Wer krampfhaft darauf aus ist, feste Geschlechterquoten durchzusetzen, kämpft nicht für die Emanzipation, er schadet ihr, denn erreichen lässt sich das Ziel nur dann, wenn man Leute in Berufe zwingt, die sie aus komplett freien Stücken nicht ergreifen würden.

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